Impulse

Welchen Wert hat eine Großmutter?

Nun bin ich Großmutter. Das ist wundervoll und erschreckend.

Wundervoll, weil mein Herz überquillt vor Liebe für dies neue Wesen in meinem Arm und Leben. Instinktiv fährt meine Nase sanft über den Haarflaum und nimmt den frischen, reinen Babyduft auf. Wie eine Wölfin, die schnuppert. Ja, dieser Welpe gehört zu meinem Rudel, für immer sind wir verbunden. Welch ein Geschenk. Es fühlt sich an wie ein Neuanfang für mich. Wie eine Chance.

Erschreckend gleichfalls, denn mir wird unvermittelt klar, dass ich auch ein Wesen im Leben meiner Enkelin bin. Nur, wie ist denn so ein Großmutter-Wesen? Welche Eigenschaften bringen Großmütter mit? Ich denke an meine eigenen Großmütter. Wie waren sie? Wie sind sie mit mir umgegangen? Habe ich mir jemals Gedanken gemacht, wer sie eigentlich sind über die Großmutter-Rolle hinaus? Was sie bewegt hat? Welches ihre Bedürfnisse waren, was sie erwartet haben von ihrem Leben?

Noch bringe ich die Bilder meiner Großmütter nicht mit meinem Bild von mir überein. Ich gehe zum Spiegel und betrachte mich. Stimme ich mit meinem inneren Großmutter-Bild überein? Kein bisschen. Weder eine praktische Kurzhaarfrisur noch Dauerwelle. Grau, ja. Und zu den Lachfalten haben sich inzwischen Knitterfalten gesellt.  Meine paar Runzeln und Altersflecken schaffen es noch nicht in den Rang der Hexe, noch nicht mal in die Kategorie der wilden alten Frau. Eher bin ich die alternde Wilde. Immer noch ein bisschen Hippie, Rockstar und vor allem die „Shamame“, wie meine Töchter mich liebevoll nennen, um damit auszudrücken, dass ich seit jeher „anders“ bin als andere Mütter. Immer ein bisschen aus der Norm „ver-rückt“.

In dieser Gesellschaft darf ich älter werden, aber nicht alt.

Ich bekomme ja noch nicht mal mein äußeres Spiegelbild mit dem inneren Bild von mir überein. Es gibt kaum Vorbilder für das, was ich bin. Wer ich jetzt bin. Klar, es gibt Frauen wie Nina Hagen oder Alice Schwarzer die gleichalt oder älter sind als ich, starke Power-Frauen, alterslos. Die nicht im mindesten daran denken, sich in das gesellschaftlich vorherrschende Passepartout einer Großmutter einzuordnen. Sie sind dem Ruf ihrer wilden Seele gefolgt, sind ihr treu geblieben, die strahlenden Ikonen und Amazonen des Feminismus. In ihrem gleißenden Licht verblasst mein Ego zum Schattenkind.

Wer also bin ich jetzt? Bin ich überhaupt noch Frau? Glaube ich dem gnadenlosen Abbild meines Spiegels, gaukeln meine Gedanken und Gefühle mir etwas vor? Darf ich ab jetzt das Bild einer weisen Frau ohne Sexappeal erfüllen? Oder das einer kuchenbackenden Spielplatz-Oma? Wie will ich als Großmutter sein? Kann ich das überhaupt leisten, was von mir erwartet wird? Und, WER erwartet hier überhaupt WAS von mir?

Dass mich der Schritt ins Großmutter-Sein in eine Reflexion dieser Dimension über mich selbst stupsen würde, habe ich nicht erwartet. Als ich vor drei Jahren 60 wurde, hatte ich akzeptiert, dass ich mein Haltbarkeitsdatum bereits überschritten habe. Ich hatte mir die Frage gestellt, was ich mit den verbleibenden „guten“ 20 Jahren alles machen will. Habe Raum geschaffen für mich. Für die Wahrhaftige, die aufrichtig ihr Herz auf der Zunge trägt und ihre wilde Seele lebt. Die, wann immer sie mag, sein kann wo sie will.

Und nun ist da meine Enkelin.  Die ein Recht darauf hat, dass ich sie behüte, das spüre ich instinktiv. Aber wovor? Welchen Wert hat eine Großmutter? In einer Welt, die alles weiß? In der der Ältestenrat Wikipedia und Google heißt? Was können uns die echten „Elders“ überhaupt noch bieten? Was ist ihr „benefit“, ihr „add on“ für unsere Enkel?

Was ist denn wertvoll genug zum Weitergeben?

Es dauert bis zu diesem Absatz. Dann ist mir der Unterschied zwischen Menschen, die einfach älter werden und Menschen wie mir klar. Ich werde meine Enkel behüten vor Menschen, die sie Schuld und Scham lehren, die sie nicht ernst nehmen, auf sie herabsehen, kleinmachen oder hänseln wollen. Ich werde ihnen das Gefühl geben, dass sie wertvoll sind, einfach weil sie SIND. Ihre Seelenwunden heilen. Ihre Zweifel nehmen, ihnen sagen, dass sie richtig sind, wie sie sind.

Angepasstes Verhalten, Leistungsdenken, Glaubenssätze und negative Annahmen über mich selbst, sollen meine Enkel nicht wiederholen. Wie Kletten hingen sie in meinem Fell – die Schatten und Dämonen, die Wertewelt meiner kriegstraumatisierten Vorfahren. Mich von diesen zu lösen, dafür habe ich mein Leben gebraucht, mich bis in die kleinsten Knochen zerlegt und wieder zusammen gesetzt. Wie La Loba, die alte Wilde Wolfsfrau, die in der Wüste die Knochen der Wölfe sammelt und, wenn sie sie nach vielen Jahren alle Knochen beieinander hat, solange singt, bis ein neuer Wolf daraus zum Leben erwacht.

Kein müheloser Weg, aber kraftvoll. Meine Weisheit ist der, der alten La Loba ähnlich: Jeder noch so tief vergrabene Knochen ist es wert, vom Schmutz der Welt befreit zu werden. Mit Liebe, sorgsam und sanft poliert und an die richtige Stelle gerückt, wird daraus eine neue wilde Wolfsseele zu Leben erweckt. Durch eine Stimm(e)ung, die alle Verletzungen heilt.

Der Schatz der Ältesten liegt für mich in der Erfahrung, den Fährten der eigenen Dämonen ausdauernd zu folgen, sich ihnen zu stellen und die in ihnen verborgenen Ressourcen zu entdecken. Sich mit allen Ecken und Kanten und in großer Selbstachtung liebevoll selbst anzunehmen – dieses Wissen und Können möchte ich meinen Enkeln schenken.

Dass ich dies heute kann, verdanke ich den vielen Überbringern der Lebenslektionen Great Spirits.  Danke auch an meine Lehrer, Sun Bear Vincent LaDuke, Archie Fire Lame Deer, Wallace Black Elk, Lonny Grey Wolf und all meinen Verwandten, die mich dabei unterstützt haben, diesen Pfad der Kraft zu gehen. Die mir gezeigt haben, dass ich der Erde gehöre, nicht von ihr getrennt bin und mein Denken und Handeln Spuren hinterlässt für die nächsten 7 Generationen.

Walk in Spirit

Antelope Wolf Woman.

Wenn du ein Leben führst, das offen für die Lektionen ist, die das Universum dir zu bieten hat, kannst du dir sicher sein, dass die richtige Lektion immer zum richtigen Zeitpunkt kommen wird, ganz gleich, wer dein Lehrer oder was der Gegenstand deines Lernens ist.

– Sun Bear –
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